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„Wo kann denn nur mein Koffer sein?“
− Sonderzug nach Domodossola Mai 2014 −

Perfekte Organisation, alle Achtung! Der Zubringerbus mit der Reisegruppe startete pünktlich Richtung Frankfurt-Süd, „Kofferkulis“, freiwillige, hilfsbereite Männer aus dem Verein waren engagiert. Frohe Erwartung war zu spüren, als der Sonderzug einfuhr. Meinen vergleichsweise kleinen Koffer reichte ich einem der Helfer in den Zug. Ein Pfiff und los ging es Richtung Domodossola, nicht gerade zum Greifen nah, jedoch unser Zielbahnhof. Wir richteten uns in unserem Abteil häuslich ein und die Zeit verflog im Nu, Deutschland auch. Der Rheinfall in Schaffhausen wurde rechtzeitig angekündigt und war auch für Sekunden zu sehen. Dann ging es im Zick-Zack durch die Schweiz und das Wetter bescherte uns ein Heidi-Land.

Nach einem gefühlten Arbeitstag mit Überstunden quietschte der Zug, er war ja auch etwas ältlich, in den Bahnhof von Domodossola ein. Alle aussteigen, das Ausladen der Koffer übernahmen Koffer-Boys, die vom Reise-Veranstalter organisiert waren, doch wo war mein Koffer? Da stand ich – scannte suchend den Bahnsteig ab und hechtete zum Ausgang zu einem der vier oder fünf Busse, meldete den Verlust. Erschrockene Gesichter, Frau Tan riet nochmaliges Absuchen des Bahnsteiges – man weiß ja nie − in Begleitung von Frau Weise nochmal zurück, Bahnsteig leer, schriller Pfiff, Zug fährt ab, zum Glück ohne uns, man hätte ja selbst noch mal reinschauen mögen. Adrenalin-Spiegel steigt.

Im Bus läuft Kopf-Kino. Filmfestspiele in Domodossola, vom Krimi bis zur Happy-End-Schnulze war alles dabei. Wenigstens sind nur Klamotten im Koffer, alles andere hatte ich im Handgepäck. Das war beruhigend, und doch wollte man wissen: Wo mag er sein, der Koffer? Hatte ihn doch selbst in den Zug gestellt, in Frankfurt.

Unsere Reisebegleitung telefonierte mit Gott und der Welt und ich hielt mich raus, volles Vertrauen bei solch individueller Begleitung, es war doch alles so perfekt, persönlich und liebevoll organisiert! War ich doch früher auf gar chaotischen Reisen unterwegs, doch mein Koffer war immer dabei.Es war mysteriös.

Es sprach sich rum und die Anteilnahme war rührend, das Angebot reichte von den Leihgaben Unterwäsche bis zum Kredit. Der Montag war ja schon vorbei und Dienstag sah das Programm Verzascatal am Ende der Welt vor. Früh am Morgen gab es halt „Rubbelwäsche“ und Trocken blasen mit dem Föhn – fast wie frisch. Aber dann, nachmittags in Ascona, die Chance zu neuer Unterwäsche und T-Shirt zu kommen, völlig neues Gefühl, immerhin 18 Sfr, vielleicht waren die kleinen Größen ja billiger. Bei mir glätten sich die Wogen und hinter den Kulissen laufen die Handys heiß...

Es kam der Mittwoch und mit ihm die Halbtagesfahrt Ortasee und Besuch der Insel Giulio, mit Altstadt! Frau wittert ja schon die Möglichkeiten, nun war dringend ein T-Shirt an der Reihe, Klasse, es gab auch Unterwäsche (zum Wechseln). An diesem Punkt spürte ich deutlich, wie ich mich über sonst Alltägliches freuen konnte – die Freude war ansteckend.

Donnerstag sah das Programm Como und Lugano vor. Welch` ein Gefühl! Frische Wäsche und neues T-Shirt. Versüßt wurde der perfekte Tag beim Besuch einer Schokoladenfabrik.

Der Freitag war der Knaller: Vormittags Wochenmarkt in Stresa, Klamotten ohne Ende. Dazu die stets rührend Anteil nehmenden Reisefreunde, Hinweise wo was zu finden sei, Hilfe bei der Anprobe, Verwahren der Handtasche usw., ach, mir ging es gut, ließ mir von dem eigenwilligen Koffer nicht die Laune verderben. Wohl hatte ich auch mal Frau Tans Schulter zum Ablassen von ein paar Tränen dankend angenommen und dachte nach, dass ich schon ganz andere Verluste in meinem Leben zu beklagen hatte.

So kam ich mir an diesem Tag vor wie die Shopping-Queen mit meiner persönlichen Begleiterin Christel. Wir kennen uns seit ewigen Tagen, doch so befreit und losgelöst wie an diesem Tag waren wir noch nie, hatten wir doch ein hellgraues „Spitzenfummelchen“ gejagt und ein pinkfarbenes T-Shirt. Dies löste beim Abendessen Begeisterung aus, die kurz vor dem Applaus war. Da steckte wohl die Lebensfreude des Vino Rosso drin, mit dem wir unseren Einkauf begossen hatten.

Den Mailänder Dom am Samstag tauschte ich zum Erholungsspaziergang am Ufer des Lago aus, kaufte ein wenig „Klim-Bim“ und Zitronen, Käse und Sonstiges, wo man denkt, es unbedingt aus Italien mit nach Hause nehmen zu müssen. Ich hatte ja auch sonst kein Gepäck. In meinem Kopf war der Koffer weit weg – war er ja auch!

Sonntagabend: Gelöste Atmosphäre, Musik und Tanz. Zuvor beim Abendessen versuchten wir unseren beiden Reise-Erzengeln auf ähnlich gefühlvolle Weise zu danken, wie sie uns die ganze Woche über geführt hatten. Es war einfach rührend und mein Koffer war noch weiter weg, besonders beim Tanzen, barfuß, machte einfach mehr Spaß. Zwischendurch bekam ich von einem reizenden Ehepaar einen Longdrink spendiert, für meinen gelassenen Umgang mit dem Verlust: Salute!

Bei der Abreise Montag früh beschlich mich so ein Gefühl von Koffer-Wunder: „Wenn es im Zug einen lauten Schrei gibt, dann habe ich meinen Koffer gefunden.“ Und es gab einen lauten Schrei!!!!!!!!!!!!

Stand doch mein Koffer brav im Kofferabteil, nicht gerade zum drüber Fallen, etwas in einer Nische, aber sichtbar, war ja schließlich kein Brillenetui, ja er stand da und zuvor eine Woche lang auf dem Abstellgleis in Zürich. Dabei wurde er von den zur Durchsuchung des Zuges eigens dafür beauftragten Bediensteten „nicht gesehen“! Hatten ihn die Kofferträger schon in Domodossola übersehen, so ging er doch mehreren Menschen „durch die Lappen“.

Aber auf mich hat er gewartet. Für viele Mitreisende löste die Geschichte ein Nachdenken aus, besonders bei jenen, die dann sagten: „Nie wieder packe ich dies oder jenes, z. B. Medikamente in den Koffer; und sooooooooviel Klamotten braucht man auch nicht.

Die Belohnung: Ich kam mit einem Koffer voll sauberer Kleidung nach Hause! Happy-End in Domodossola !

Ursula Neubauer

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